Gestern beim Frühstück mit meiner Tochter hatte ich mal wieder einen sehr emotionalen Moment. Wir unterhielten uns über unseren geplanten Urlaub, als plötzlich von meiner Zufallsplaylist das Musik-Thema von „Schindlers Liste“ erklang. (hier zum Anhören)
Es gibt für mich keinen bewegenderen Film als dieses Meisterwerk von Steven Spielberg und es gibt kaum eine gelungenere Filmmusik dazu, als die von John Williams.
Es gibt in dem Film eine Schlüsselszene, die sich sofort vor meinen Augen abspielte. Die Kamera betrachtet von einem Hügel aus, wie das Ghetto von Krakau von den Juden gesäubert wird. Der Film ist in schwarz-weiß, und bei all dem unsäglichen Nazi-Chaos das man in anderen Filmen schon hundertfach gesehen hat, läuft plötzlich ein kleiner roter Punkt durch die Straßen. Die Kamera fährt näher an den Punkt heran und es ist ein vielleicht 4 jähriges Mädchen mit roter Jacke, das verängstigt umherläuft. Sie wird kaum beachtet von den Schlächtern und flieht in einen Hauseingang. Sie stapft tapfer alleine eine Treppe hinauf, geht durch eine offene Wohnungstür ins Innere der Wohnung und kriecht unter ein Bett. Es ist ihre Zuflucht und da liegt sie auf dem Bauch – hält sich die Ohren zu und die Tränen laufen aus den riesigen Kindsaugen über ihr verängstigtes Gesicht.
Eine Stunde später im Film ist der Kommandant von Krakau von oberster Stelle aus angewiesen, die vergrabenen Leichen des Massakers wieder auszugraben und samt und sonders zu verbrennen. Ein Leiterwagen nach dem anderen mit Leichenstapeln fährt durchs Bild, während Oskar Schindler mit Amon Göth, dem Lagerleiter die nächsten Aktionen bespricht. Auf einem der Leiterwägen lugt eine rote verschmutzte Jacke hervor und spätestens an dieser Stelle, kann ich meine Emotionen nicht mehr unterdrücken.
„Was tun sich Menschen nur gegenseitig an?“ „Warum sind sie zu so etwas in der Lage?“
Das waren die beiden Fragen, die ich am Frühstückstisch dann gerade so hervorbrachte. Dabei fielen mir sofort zwei weitere aktuelle Beispiele an: der Terroranschlag am Strand in Tunesien und der Anschlag auf die baptistische Kirche in Charleston.
„Warum tun Menschen das?“
Meine Antwort darauf: Ihr Glaube!
Solange nicht doch irgendein Wissenschaftler eines Tages hieb und stichfest belegt, dass wir doch keinen eigenen Willen haben – also keine wirkliche Entscheidungsfreiheit – solange müssen wir davon ausgehen, dass es die Wahl gibt, entweder bestimmte Dinge zu tun oder nicht. „We have a choice“ würde ein Engländer sagen.
Aber was leitet dann unsere Entscheidungen, gewisse Handlungen zu vollführen? Es sind zu einem großen Teil unsere Glaubenssätze und Überzeugungen.
Wir Menschen glauben an bestimmte Dinge und weil wir daran glauben, halten wir sie für die Wahrheit oder für richtig – also handeln wir letztlich auch danach.
Banken „glauben“ daran, dass arme Menschen nicht kreditwürdig sind, also bekommen sie kein Geld zu ihrer Entwicklung, sondern nur die Reichen, die damit wieder reicher werden. Die Mikrokredit-Institute z.B. die Grameen Bank von Mohammed Yunus haben das Gegenteil dieser klassischen Banken-„Wahrheit“ eindrucksvoll bewiesen.
Der islamische Staat hat im Moment auch nichts Besseres zu tun, als „Andersgläubige“ zu eliminieren und unbezahlbare historische Kulturstätten zu zerstören, weil sie daran „glauben“ dass nur die Zeit nach Mohammed zählt und alles andere davor Götzenbezeugungen sind.
Jack Welch, der legendäre CEO von General Electric, hat sicher viel richtig gemacht als Führungskraft des Unternehmens. Aber einen Fehler gibt er heute im nachhinein offen zu: seine Erfindung des Shareholder-Value! Also der pure „GLAUBE“, dass wenn es den Shareholdern gut geht, es auch automatisch dem Unternehmen gut geht.
Er war sogar so ehrlich zu sagen, dass er damals nicht gesagt hat: „ich glaube an die Richtigkeit dieser These“ – sondern – „ich weiß dass das stimmt“. Und genauso pflegen wir Menschen unsere simplen Glaubenssätze unbewusst als Wahrheiten zu verkaufen und zu verinnerlichen.
Der Glaube ist eine furchtbar starke Triebfeder für unser Handeln – ob im Guten wie im Schlechten. Dabei hat Glaube ganz selten etwas mit Wahrheit zu tun! (Spätestens seit dem Film „the Matrix“ kann man sich eigentlich gar nicht mehr so sicher sein, ob unsere irdische Existenz überhaupt der Wahrheit entspricht….)
Wann immer wir also glauben, die Wahrheit zu kennen, dann sollten wir ganz vorsichtig sein und uns kurz überprüfen, ob es sich nicht doch nur um einen simplen Glaubenssatz handelt. Wenn wir den Gedanken als einen Glaubenssatz entlarven, dann hat das den Nachteil, dass wir uns eine Täuschung einräumen müssen, aber es hat den Vorteil, dass man Glaubenssätze ändern kann, die womöglich wesentlich wirksamer und „effektiver“ sind, als die, die man vorher hatte. Man nennt das dann gemeinhin einen „Paradigmenwechsel“ – nach dem griechischen Wort Paradigma = Muster.
Jeder der einen Paradigmenwechsel schon einmal erlebt hat, weiß was danach passiert. Man sieht Dinge anders und man handelt danach anders und man bekommt völlig andere Resultate im Leben.
Durch den „Glauben“ geschieht auf unserer Welt sehr viel Schlimmes (meist durch den religiösen Glauben), aber man kann dieses so mächtige Instrument auch in positive Richtungen lenken.
Vier Beispiele im Bezug auf gute Führung:
1. Es soll Manager geben, die daran glauben „ich erziele Ergebnisse aufgrund meiner Position (formelle Autorität). Andere Manager glauben daran „ich erziele Ergebnisse über persönlichen Einfluss und Glaubwürdigkeit (informelle moralische Instanz)
Welcher Glaubenssatz ist als Führungskraft letztlich stärker?
2. Es soll Manager geben, die glauben „Solange die Leute eine klare Stellenbeschreibung haben, werden sie schon zurechtkommen“. Andere Manager glauben eher „Wenn es einen klaren überzeugenden Auftrag gibt, werden die Leute freiwillig ihr bestes geben“.
Welcher Glaubenssatz ist wohl auf Dauer wirkungsvoller?
3. Es soll Manager geben, die daran glauben „Alles hängt von mir ab!“ (und man sieht sie dann aktiv im operativen Geschäft – also im Hamsterrad herumrennen und ihre eigentlichen Führungsaufgaben vernachlässigen. Andere Manager glauben eher „Dauerhafter Erfolg steckt im System“ und sie konzentrieren sich darauf, unbürokratische Systeme zu entwickeln, die zu Ergebnissen führen, auch wenn Boss selbst mal nicht anwesend sein sollte.
Welcher Glaubenssatz ist erfolgreicher?
4. Es soll Manager geben, die daran glauben „Ich muss meine Leute ständig motivieren und managen, um Ergebnisse zu erzielen“. Andere Manager glauben „meine Aufgabe ist es, das Talent und die Leidenschaft des Teams für unsere höchsten Prioritäten freizusetzen“
Welcher Glaubenssatz ist letztlich effektiver?
Achtung! Ich sage nicht, welcher der jeweils beiden Alternativen der „Richtige“ ist. Ich sage nur:
- keiner der beiden Alternativen ist die „Wahrheit“.
- Jeder der Glaubenssätze führt zu anderen Verhaltensweisen und zu völlig anderen Ergebnissen
- man kann Glaubenssätze wechseln
Wenn Sie wieder einmal mit einem Resultat in Ihrer Führungsarbeit oder in Ihrem Leben allgemein unzufrieden sind, (z.B.“ ich bin gestresst und bin unausgeglichen“) , dann überlegen Sie sich im ersten Schritt, welches Verhalten Sie dazu geführt hat. („ich arbeite zu viel und habe zu wenig Zeit für mich oder meine privaten Dinge“) Wenn Ihnen ihr Verhalten klar ist, dann fragen Sie sich im zweiten Schritt, welcher Glaubenssatz sie zu diesem Verhalten „zwingt“ („Arbeit geht vor!“) Im dritten Schritt können Sie sich ja mal einen alternativen Glaubenssatz überlegen und versuchen, diesen anzunehmen („Wenn ich mir Zeit für mich selbst und meine wichtigen privaten Rollen nehme, dann bin ich auch auf der Arbeit produktiver“).
Das jüdische Mädchen mit der roten Jacke bekam niemals die Chance, sich mit solchen Themen überhaupt befassen zu dürfen. Ihr Schicksal hing an dem Glaubenssatz, dass ihre Rasse nicht lebenswert wäre — und es haben genug Menschen an diesen Irrsinn geglaubt und entsprechend gehandelt. Vielleicht ist die Einstiegsszene für das eigentliche Thema heute im Blog ja etwas krass — aber vielleicht muss man sich krasse Beispiele vor Augen führen, um Veränderungen bei sich zu bewirken.
Glaube versetzt bekanntlich Berge — man muss nur an das Richtige glauben.
Die Fähigkeit seine inneren Wahrheiten auf den Prüfstand zu stellen, halte ich für eine der wesentlichsten Eigenschaften eines großartigen Menschen – und natürlich auch für großartige Führungskräfte.