Diese Frage bringt uns wieder zurück zu dem Thema, wie man wichtige Projekte und Initiativen in der Organisation konsequent durchzieht, während gleichzeitig der Dringlichkeits-Tornado durch die Bürogänge tobt.
Das Bild des Dringlichkeits-Tornados habe ich von Chris McChesney übernommen, einem der Top-Berater von FranklinCovey, der sich ausschließlich mit dem Phänomen des „Execution-Gaps“ in Organisationen befasst – also einer Umsetzungs-Lücke. Bilder sagen mehr als Tausend Worte und den Arbeitsalltag mit einem Wirbelwind zu vergleichen halte ich für durchaus passend.
Allerdings darf man einen solchen Wirbelwind nicht als etwas Negatives betrachten. In ihm toben all die Dinge, die für das Überleben einer Organisation offenbar wichtig sind. Hier fliegen uns die tausend E-Mails, die Jour-Fix-Meetings, die Feuerwehraktionen bei Störfällen oder Kundenreklamationen, das Verifizieren von Gerüchten, die Bürokratie und und und um die Ohren. Also alles, was uns beschäftigt hält und offenbar zum Erhalt einer jeden Organisation doch irgendwie beiträgt. Fast alles davon ist mit dem Etikett „DRINGEND“ versehen und wir sind so beschäftigt, dass wir die feine Unterscheidung zwischen DRINGEND und WICHTIG nicht mehr hinbekommen. Gefühlt ist alles was DRINGEND ist, auch automatisch WICHTIG und hier befinden wir uns einem von 4 Zeitquadranten, den man ruhig mit dem Titel „Selbsttäuschung“ bezeichnen kann und der bei heutigen Managern laut vielen Studien mittlerweile über 50% ihrer Arbeitszeit ausmacht!
Wissen Sie wie man dieses Phänomen am einfachsten erkennt? Das einzige was Sie tun müssen ist, ohne jede Vorbereitung ihres Arbeitstags einfach ins Büro zu marschieren, sich hinzusetzen und abzuwarten. Diese „Selbsttäuscher“ lauern ihnen schon längst auf und es vergeht keine Minute, da haben diese Sie auch schon aufgespürt und überfallen sie oder jagen Sie durch den Tag: Das Piepen der jüngsten E-mail, Anrufe, Ansprachen durch Kollegen mit beliebigen Anfragen. Ab dieser Sekunde sind Sie beschäftigt und die „Selbsttäuscher“ lassen Sie nicht aus ihren Fängen, bis Sie – um in unserem vereinfachten Bild zu bleiben – die Bürotür hinter sich abschließen und völlig erschöpft und irgendwie unbefriedigt nach Hause gehen. Nach so vielen Seminarjahren mit Führungskräften haben wohl 99% der Teilnehmer bestätigt, dass sie viel zu oft mit guten Vorsätzen in den Tag gestartet sind, und nach einem sehr beschäftigten und arbeitsreichen Tag dennoch das Gefühl zu haben, nicht die eigentlich wichtigen Dinge erledigt bekommen zu haben.
Dies hat es schon zu Zeiten meines Vaters gegeben, aber jetzt wird das mit dem technologischen Fortschritt, insbesondere der Smart-Phones, noch dramatisch verschärft. Diese „Selbsttäuscher“ halten uns auf Trapp, vom Aufstehen bis zum Einschlafen. Kein Entrinnen mehr durch unsere tollen chicken Begleiter und der Erwartung der Kollegen, gefälligst rund um die Uhr verfügbar zu sein.
Ich habe gerade von 4 Zeitquadranten gesprochen und das eben beschriebene Phänomen hat auch den Titel „Dringlich – aber nicht Wichtig“. Es gibt natürlich einen zweiten Quadranten mit dem Titel „Dringlich UND Wichtig“ — hier spielen sich nicht nur zeitkritische Themen ab, sondern sie sind TATSÄCHLICH wichtig, wie z.B. ein Angebot für einen Kunden abgeben oder die Behebung eines Produktionsstillstandes oder ein wirklich wichtiges Projekt zu bearbeiten. Dieser Zeitquadrant bekommt den Zusatztitel „NOTWENDIGKEIT“ und keine Führungskraft darf und sollte sich diesem Quadranten entziehen. Hier ist eines von zwei Spielfeldern auf den man sich wirklich zu bewegen hat. Und sind wir mal ehrlich: Dringende UND Wichtige Dinge zu erledigen, ist schon sehr befriedigend und macht uns diesen Job auch wertvoll. Leider ist auch dieser Zeitquadrant bei den meisten viel zu zeitintensiv, denn in ihm sind auch Aktivitäten wie z.B. das Beheben von Störfällen oder jede Form von Krisenmanagement, die großteils vermeidbar wären, würde man nicht so viel Zeit im Zeitquadranten der „Selbsttäuschung“ – sondern lieber im Zeitquadranten der „EFFEKTIVITÄT“ verbringen. Dieser dritte und wohl absolut wichtigste Zeitquadrant bekommt die Aufschrift „NICHT dringend, ABER WICHTIG“. Hier finden wir all die Tätigkeiten, die mit Prävention, Planung, Vorbereitung, Strategie, Weitblick, Beziehungspflege, gesunder Weiterentwicklung, Lernen, Ausbildung, usw. zu tun haben. Macht man mit Managern jedoch eine Analyse ihres tatsächlichen Zeitkonsums, dann stellt man erschreckender Weise fest, dass sie sich nur zu einem Bruchteil ihrer Zeit in diesem Zeitquadranten aufhalten. Vielmehr gehen über 80% der Arbeitszeit in den beiden Quadranten „Notwendigkeit“ und „Selbsttäuschung“ drauf, wenn dann der Wirbelsturm irgendwann etwas abflaut, nimmt man sich mal eben etwas Zeit für Planung und Vorbereitung. Aber seien wir auch an dieser Stelle ehrlich zu uns : wenn der Wirbelsturm einmal etwas abflaut, sind wir einfach nur froh mal abzuschalten und unseren Akku mit irgendwelchen Trivialitäten wieder aufzubauen, um am nächsten Tag wieder ins Dringlichkeitsrad einzusteigen, bzw. wieder in den Wirbelsturm oder Dringlichkeits-Tornado einzutauchen. Das ist ein ungesundes Spiel für alle Beteiligten.
Der Ausweg aus diesem Dilemma ist hier schon beschrieben und gleichgültig, wer für sich beansprucht das Prinzip der 4 Zeitquadranten ins Leben gerufen zu haben – Eisenhower oder Covey – ich halte es für den einzig wirksamen Schlüssel, um der Dringlichkeitsfalle zu entkommen.
Die Antwort liegt im Zeitquadrant der „Effektivität“ – also „NICHT dringend, ABER Wichtig“. Das bewusste Verlagern des eigenen Zeitbudgets vom Quadranten der „Selbsttäuschung“ in den Quadranten der „Effektivität“ ist das Einzige was Sie hinbekommen müssen, der Rest erledigt sich von selbst.
Das klingt natürlich mal wieder logisch und simpel, wie so vieles auf der Welt. Aber auch hier ist wieder „Common Sense“ nicht „Common Practice“ und wir müssen uns die Frage stellen, was diesem gesunden langfristig erfolgreichen Handeln entgegensteht.
Zunächst einmal hat der Zeitquadrant der Effektivität (NICHT dringend ABER WICHTIG) ein Image-Problem!
Wenn jemand verstärkt seine Zeit in diesem Quadranten nutzt, dann wirkt er für Außenstehende als nicht ausgelastet. „Was tut der eigentlich? Der wirkt so ausgeglichen. Schafft der überhaupt etwas?“
Diese Gedanken sind menschlich und typisch menschlich kurzsichtig und dumm. Sie entspringen dem eigenen Paradigma „Nur derjenige richtig arbeitet, der es lange und unter sichtbarer Anstrengung tut“. Heute sind die Macher die Stars in unseren Unternehmen. Sie sind immer da und sind in der Lage jedes Problem wirkungsvoll zu beheben und sich womöglich dazu feiern lassen.
Es gar nicht zu einem Problem kommen lassen und die Organisation einfach im Flow zu halten, wirkt dagegen fast langweilig und unspektakulär. Aber genau das vermag eine Führungskraft, die den Fokus auf den Zeitquadranten der Effektivität legt.
Der zweite Grund, der einem effektiven Verhalten entgegensteht ist die Tatsache, dass die Wirkung der Maßnahmen im Zeitquadrant der Effektivität zeitverzögert eintreffen – und das wirkt wie pures Gift auf Shareholder und hochrangige Personen, die sich stets rasche Erfolge versprechen.
Es ist für viele Manager schlicht nicht opportun sich WICHTIGEN aber nicht dringenden Themen zu widmen. Ich höre so oft den Satz „das kann ich mir nicht leisten, denn wir brauchen die Ergebnisse so bald wie möglich.“
Und so kämpfen sie unverdrossen Tag für Tag den Kampf gegen den Dringlichkeits-Tornado – wohl wissend, ihn nie gewinnen, aber hoffentlich bis zur Rente gegen ein bemerkenswertes Schmerzensgeld, wenigstens überleben zu können.
Um unsere Einstiegsfrage jetzt aber nicht negativ zu beenden, gilt die Regel, ganz bewusst – und irgendwann völlig automatisch – sich konsequent Zeit für die Wichtigen, aber nicht dringenden Dinge, im Kalender einzutragen, mit kleinen Schritten zu beginnen, und mit der Zeit über die geernteten Früchte eine Aufwärtsspirale zu betreiben, die den Dringlichkeits-Tornado zu einer angenehmen Brise reduziert.