„Mehr Zeit für Führung“ – OK, aber was heißt das konkret?

Es gibt zwei magische Zahlen in Bezug auf gute Führungsarbeit:
> 30% und <10%!

Diese beiden Zahlen sind Antworten auf folgende beiden Fragen an Führungskräfte in einem Leadership-Seminar:

1. Wieviel Prozent der Arbeitszeit sollte man als Führungskraft für „echte Führung“ und nicht für Tagesaktualitäten und Micro-Management aufbringen?    Antwort:  mehr als 30% seiner Arbeitszeit (in höheren Positionen sogar mehr!)

2. Wieviel Prozent der Arbeitszeit bringt eine durchschnittliche Führungskraft für „echte Führung“ tatsächlich auf?  Antwort:  < 10%.

Konkret in Zahlen ausgedrückt heißt das – auf Basis einer 50 Stunden Woche – dass man weniger als 5 Stunden für echte Führung investiert, während man aber mehr als 15 Stunden dafür aufbringen sollte.  15 Stunden!  Das sind fast zwei reguläre Arbeitstage allein für echte Führung.

Diese Zahlenübung können Sie spontan mit praktisch jeder Ansammlung von Managern machen und sie kommen immer zu den selben Aussagen.   Und im selben Atemzug in dem Sie die Diskrepanz aufzeigen, merken Sie im Raum sofort eine Stimmung von Widerstand.  Eine unbehagliche Stimmung liegt im Raum die jeder kennt, wenn der Verstand einem etwas mitteilt, was vernünftig erscheint („man sollte weniger Süßes essen und sich mehr bewegen“) und eine innere Stimme einem sofort signalisiert, dass das eigentlich gar nicht geht. Dieses mulmige Gefühl von „ja…. aber“. Und Sie müssten das kollektive Aufatmen spüren, wenn der erste in der Runde sich traut, Argumente zu finden, warum das in der Praxis eigentlich nicht durchzuhalten ist.

Alle nachfolgenden Diskussionen kranken an einem Problem:  alle glauben zu wissen, was sie unter „mehr Zeit für Führung“ eigentlich verstehen, aber bei näherer Betrachtung gehen die Meinungen hierüber weit auseinander!  Gehört jetzt das wöchentliche Jour-Fix dazu oder nicht?  Wenn ich mit einem Mitarbeiter zu Mittag esse, gehört das dazu oder nicht?

Bevor man sich nicht über einen Kanon an Tätigkeiten hierüber verständigt, ist jede Zahlendiskussion überflüssig.

Aus diesem Grund gebe ich Ihnen hier einmal meine aktuelle Sicht der Dinge preis, welche Sie für sich gerne adaptieren können.  Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll eine Orientierungshilfe sein:

Das gehört dazu:

  • Personalplanung — habe ich die richtige Mannschaft am Start?
  • Durchführung von Mitarbeitergesprächen, regelmäßig oder situativ
  • Regelmäßige Teammeeting (nicht verwechseln mit operativen Jour-Fixes)
  • Stimmungen im Team aufnehmen
  • Recruiting
  • Urlaubsgenehmigungen
  • Zeitausgleiche
  • Weiterbildung / Ausbildungspläne entwickeln
  • Strategien zusammen mit dem Team erarbeiten (no involvement, no commitment)
  • Teamaufträge erstellen und weiterentwickeln
  • Teamziele festlegen und tracken
  • Verantwortungen effektiv delegieren (ganz wichtig)
  • Mitarbeiter individuell entwickeln

Das gehört NICHT dazu:

  • operative Jour-Fixes
  • operative Eskalationen managen
  • Prozessverbesserungen
  • Zeit für Budgetplanung
  • Bestellwesen und Controlling-Aufgaben
  • operative Projektarbeiten

Ganz grob betrachtet müssen wir hier zwischen Management und Führung unterscheiden.  „We manage things, but we lead people“ (Peter Drucker).  Also lassen Sie bei ihrer eigenen Kalkulation all die operativen Dinge wie Projekte, Budget, operative Kundenanfragen, E-Mails bearbeiten, regelmäßige Jour-Fixe etc. außen vor.

Unter „Zeit für Führung“ fällt alles, was neben dem üblichen Tagesgeschäft der Stärkung der Unternehmenskultur und der Performance der eigenen Mannschaft dient.

Ebenfalls dazu gehören Dinge wie Strategien entwickeln, Ziele ableiten und Teamaufträge entwickeln.  Gleichfalls ist wichtig, ständig Dialoge mit der eigenen Mannschaft zu führen und deren persönliche Beiträge für den Gesamterfolg klar zu machen.

Viele Manager vernachlässigen diese Tätigkeiten, weil die operativen Themen stets dringlicher sind und die eben beschriebenen Maßnahmen zwar wichtig sind, aber erst mit einem Zeitverzug ihre Wirkung entfalten.  Die inneren Dialog lauten dann in etwa wie folgt:

„Heute steht eigentlich das Mitarbeitergespräch mit Hr. X an – aber mein Boss hätte mich gerne bei einer Projektsitzung dabei und außerdem bin ich gar nicht gescheit vorbereitet.  Ich schreib Hr. X eine Absage und kündige ihm die Verschiebung an. Das wird er schon verstehen.“

„Frau Y lässt in letzter Zeit ganz schön die Zügel schleifen. Ich müsste mich mal mit ihr unterhalten, aber ich muss jetzt dringend in die Konferenzen.  Na ja, die fängt sich schon wieder – es ist für uns alle nicht leicht.“

„Die Probezeit von Herrn Z ist in 4 Wochen vorbei. Na ja, so überzeugt bin ich ja nicht von ihm. Aber wenn ich ehrlich bin, hab ich mir auch nicht die Zeit für ihn genug genommen.  Der entwickelt sich schon noch. Außerdem muss ich jetzt auf die Messe nach Hannover und bin anschließend auf Auslandsreisen.  und…  wenn ich noch einmal ehrlich bin,  die Zeit einen Besseren zu finden, hab ich auch nicht….“

Nichts wirkt sich auf den Unternehmenserfolg fataler aus, als sich unzureichend um die Qualität und das Engagement seiner Belegschaft zu kümmern.   Wenn wir uns einmal überlegen, dass ein normaler Manager am Tag durchschnittlich 3 Stunden mit E-Mail-Bearbeitung zubringt, dann müssen wir über die Absurdität unseres Verhaltens nicht viel Worte verlieren.

Leider ist in den Unternehmen die Angst vor dem Verlieren größer, als die Lust auf das Gewinnen.   Diese Angst führt dazu, dass wir jede E-Mail checken und in jedes blöde Meeting marschieren um ja nichts Wesentliches zu verpassen was unsere Stellung gefährden könnte.

Nur Wenige haben die Souveränität, sich diesem inneren Druck zu widersetzen und sich dem wirklich Wichtigen zu widmen:  ausreichend Zeit für echte Führung aufzubringen.

Nur Mut!