Ich lese mal wieder ein für mich interessantes Buch: „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ von Yuval Noah Harari.
Zwar habe ich erst die beiden ersten Lektionen hinter mir, doch muss ich zugeben, dass sie mich sehr beschäftigen.
Die erste Lektion heißt „Desillusionierung – das Ende der Geschichte wurde vertagt“ und die Zweite hat den Titel „Arbeit – wenn Du erwachsen wirst, hast Du vielleicht keinen Job“.
In der zweiten Lektion beschäftigt mich am meisten die Aussage, dass der Mensch zwei wesentliche Fähigkeiten besitzt: körperliche und kognitive Fähigkeiten. Immer wieder wird diskutiert, ob die Technisierung nicht zu einer Massenarbeitslosigkeit führt. Bislang ist das nicht der Fall – im Gegenteil – die Zahl der Arbeitsplätze wächst stetig – allerdings nicht in körperlichen Berufen – hier haben uns die Maschinen längst den Rang abgelaufen – sondern in kognitiven Berufen. Noch haben die Menschen hier gegenüber den Maschinen einen klaren Vorteil. Und wieder wird diskutiert, ob die kommende Digitalisierung zu einer Massenarbeitslosigkeit führt und nun gibt es wieder zwei Lager: die einen sagen – „nein! warum auch – die Vergangenheit hat ja gezeigt, dass es immer anders kommt.“ Die anderen sagen – „und ob! denn diesmal ist alles anders! Wenn die Machine uns nicht nur die körperlichen Tätigkeiten abnimmt, sondern mit dem Fortschreiten der Künstlichen Intelligenz auch noch die kognitiven Fähigkeiten ersetzt werden, dann bleibt für schlicht nichts mehr zu tun!“.
Ich fürchte – die zweite Fraktion hat Recht und wenn man die verschiedenen Beispiele die Harari aus den Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz beschreibt zu Gemüte führt, dann kann einem wirklich anders werden.
Und das bringt mich nun zurück zur Einstiegslektion, in der er über die aktuelle Desillusionierung der Menschen philosophiert.
Seine zentrale Lektion hier: Menschen lieben Erzählungen – insbesondere solche, die ihnen Orientierung für das Leben geben. Die wohl bekannteste und einflussreichste Erzählung für einen Großteil der Menschheit ist und war die Bibel – zumindest bis zur Aufklärung.
Harari bringt nun für unsere heutige Zeit – frei wiedergegeben – eine sehr treffende Aussage:
1930 standen den Menschen (primär in der entwickelten Welt) drei Erzählungen für ein erfolgreiches Leben zur Auswahl: der Faschismus, der Kommunismus und der Liberalismus.“
Spätestens mit Che Guevara gab es nur noch zwei ernst zu nehmende Erzählungen: den Kommunismus und den Liberalismus.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gab es in den letzten 30 Jahren nur noch eine relevante Erzählung – die des Liberalismus. Scheinbar hat es sich durchgesetzt, dass die Freiheit des Menschen und der damit verbundene ungezügelte Kapitalismus das non-plus-ultra für die positive Entwicklung der Menschen hin zu Wohlstand und Zufriedenheit darstellt.
2018 hat sich auch diese Erzählung mehr oder weniger in Luft aufgelöst! Die Freiheitsgrade in allen Lebensbereichen bringen offenbar alles in Schieflage. Die Schere zwischen Arm und Reich wächst dramatisch, die Unternehmen tun alles, um Steuern zu vermeiden, die für die gesunde Entwicklung von Staaten aber unablässig sind und der allgemeine Anspruch jedes Menschen in unserer zivilisierten Welt „ich darf alles“ (z.B. zum Shoppen über das Wochenende nach Dubai fliegen) bringt unsere Ökologie an seine für uns spürbaren Grenzen.
Harari hat meines Erachtens recht, wenn er sagt, heute haben wir Menschen keine Erzählung mehr zur Hand, die uns eine überzeugende Orientierung liefert – es kommt noch schlimmer! Wir haben nicht nur keine Orientierung, sondern die galoppierende Digitalisierung beraubt uns gleichzeitig auch noch die Hoffnung auf ausreichend Beschäftigung.
Dieser Cocktail aus zwei Elementen macht uns zu schaffen und schürt bei vielen Menschen Ängste und Desillusionierung. Bahn frei für Populisten, um aus dieser Angst Kapital zu schlagen. Willkommen in der kollektiven Gemütslage im April 2019!
Hararis Lektion 1 mit dem Kapitel „Desillusionierung“ hat einen Schwachpunkt! Er fordert völlig zu Recht eine neue Erzählung für uns Menschen ein und zwar eine, welche auch die Bedrohung durch die kommende Digitalisierung einbindet – nur – er selbst liefert hierfür keinerlei Ansätze…
Dabei glaube ich, dass sie bereits existiert!
Ich bin in einem konservativen Wertegerüst aufgewachsen. Meine Eltern haben CDU gewählt, mein Vater war Werksleiter und der Glaube an die Kombination „geht es der Wirtschaft gut – geht es den Menschen gut“ war übermächtig.
Später wurde ich viele Jahre lang Wähler der Liberalen und hatte wirklich den Glauben, der Liberalismus setzt sich weltweit durch.
Ich kann es selbst kaum glauben – aber im letzten Jahr habe ich zum ersten Mal in meinem Leben grün gewählt und würde es im Moment wieder tun.
Und ich denke – es steht klar im Zusammenhang mit der eben beschriebenen These von Harari.
Nachdem der Faschismus – der Kommunismus – und nun – der Liberalismus als heilbringende Erzählung sich verabschiedet haben bzw. sich gerade verabschieden – bleibt aus meiner Sicht nur eine Erzählung übrig: die des „Prinzipialismus“ ( 🙂 . Vielleicht sollte ich noch an der Wortschöpfung arbeiten). Wenn das noch etwas werden soll auf dieser Welt, dann müssen wir uns nach Dingen richten, die universell und zeitlos sind: Prinzipien bzw. Quasi-Grundgesetze eben.
Der Liberalismus ist dabei, die Gans zu schlachten, die eigentlich goldene Eier legt. Die Gans steht dabei für den Planeten und die Umwelt als Grundvoraussetzung für irdisches Leben. Unser Wahn nach den goldenen Eiern zu streben und dabei die Gans umzubringen, bringt uns an den Rand der Existenz – und das muss aufhören!
Die Gans zu erhalten ist eines von solchen Grundprinzipien, um die es letztlich geht, welche in die Köpfe und die Gewohnheiten der Menschen hineingetragen werden müssen.
Der Prinzipialismus muss uns Menschen anleiten, Prinzipien für ein nachhaltiges Leben in den Mittelpunkt unseres Handelns zu stellen – auch wenn das bedeutet, dass es mit empfindlichen Einschränkungen unserer heutigen Lebensweise einhergehen wird und muss.
Denken wir darüber nach, wie eine Erzählung über das Leben mit Prinzipien aussehen kann…. es wird Zeit!