Ich habe einen “blind spot” – ich gebe es unumwunden zu!
Ich respektiere offensichtlich nicht jeden Menschen in dem Maße, wie es sich eigentlich gehört – und das hat natürlich wie immer im Leben seine Konsequenzen.
Meine beiden Töchter haben mich schon früher immer mal im Restaurant darauf aufmerksam gemacht, ich solle nicht so unleidlich sein, wenn es mal nicht so schnell geht, wie ich mir das vorstelle. Und das stimmt schon – ich habe hohe Ansprüche an Aufmerksamkeit mir gegenüber wenn ich im Cafe oder im Restaurant sitze. Allerdings nicht die ganze Zeit! Nur am Anfang und am Ende. Ich möchte, dass ich schnell bedient werde und das Bestellte möglichst zügig kommt und ich möchte nicht lange auf die Rechnung warten. Ist das denn zuviel verlangt? Ich finde, da kann man schon mal grimmig werden, wenn eines der drei genannten Dinge nicht so läuft, wie ich mir das vorstelle.
Im Grunde berührt das den Kern aller menschlichen Konflikte: Dinge laufen nicht so, wie man das wünscht oder braucht! (ein Hoch auf die Menschen, die mit dieser “Lücke” zwischen Wunsch und Wirklichkeit souverän umgehen können!!)
Aber heute bleibe ich einfach mal beim Thema Servicepersonal.
Die beste Geschichte, die mir in diesem Zusammenhang jemals passierte, spielte sich in einem China-Restaurant ab. Ich wollte ein Bier nachbestellen und winkte ewig lange dem Kellner zu. Als er mich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich wahrnahm, strahlte er mich aus der Entfernung an, winkte mir freundlich zurück und ging an einen anderen Tisch.
Ich habe ein echtes Problem – ich gebe es hier zu: ich werde im Restaurant oder im Cafe gern vom Servicepersonal übersehen. Es passiert immer wieder, dass Tische, die später besetzt werden, früher bedient werden als meiner. Ein furchtbares Gefühl!
Darunter leide ich sehr und ich habe schon überlegt, ob ich mich in Therapie begeben sollte….
Aber im Ernst…. es beschäftigt mich und ich habe mir eine plausible Erklärung jahrelang gebastelt, die mich etwas getröstet hat: ich bin einfach zu nett! Ich meinte zu beobachten, dass die Gäste, die streng mit dem Personal umgehen, auch prompt bedient wurden, während ich mit meiner Nettigkeit schlicht in der Aufmerksamkeit untergehe.
So ist das mit den netten Menschen – die kommen nie richtig zum Zuge. Traurig eigentlich!
Und so vergingen die Jahre zwischen Leid und innerem Trost , bis mich meine Frau vor ein paar Wochen darauf aufmerksam machte, dass ich mit dem Servicepersonal sehr oft keinen Blickkontakt aufnehme – weder beim Bestellen noch beim Bezahlen oder bei anderen Interaktionen. Nicht immer – aber doch sehr oft!
Das gab mir zu Denken! Warum tue ich das nicht? Warum kann ich so oft dem Servicepersonal nicht direkt und offen in die Augen schauen? Fühle ich mich insgeheim in der Kunden-Dienstleistersituation als Kunde einfach als wichtiger und vergesse plötzlich solche Themen wie “Respekt”, “Wertschätzung”, “Achtung”?
Wie auch immer. Seitdem achte ich darauf, das Servicepersonal wahrzunehmen und klar in die Augen zu schauen.
Und oh Wunder – die Welt ist plötzlich anders – zumindest in den Minuten, die ich in der Gastronomie zubringe.
Ich fühle mich selbst besser und der Grad der Aufmerksamkeit und Freundlichkeit mit der ich plötzlich bedient werde, ändert sich gefühlt enorm.
Wie lange hätte ich noch darauf warten wollen, dass ein Servicepersonal mich so wertschätzt, wie ich es gerne hätte? Vermutlich ewig!
Und so bin ich doch etwas zerknirscht darüber, dass ich mit meinen mittlerweile siebenundfünfzig Jahren immer noch Entwicklungspotential habe, was den achtsamen und wertschätzenden Umgang mit Menschen um mich herum angeht.
Wertschätzung ist ein Schlüssel, der die Tür zur Kooperation und Synergie öffnet – natürlich nicht nur in Erholungsorten wie Restaurants, sondern in extremen Maße auch im Arbeitsumfeld.
Wo auch immer man sich in der Unternehmenshierarchie befindet – ob oben oder unten oder in der Mitte – BITTE nehmen wir die Menschen um uns herum wahr! Schauen wir ihnen mehr in die Augen und geben ihnen in unserem Blick zu verstehen, dass wir sie als Mensch wertschätzen – selbst wenn sie in ihren ausgeübten Rollen vielleicht nicht immer so “performen”, wie wir uns das wünschen.
Eine berufliche Rolle ist nur ein Teil von uns als ganzem Menschen. Aber diesem Menschen in die Augen zu schauen ist etwas anderes als “nur” den Kellner, oder den Verkäufer oder die Buchhalterin oder die Marketing-Chefin in ihrem Verhalten zu betrachten.
Wir sind alle nur Menschen, die morgens nach dem Aufstehen aufbrechen und sich in die notwendige Interaktion mit anderen Menschen begeben, um die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen.
Das sollte man wertschätzen – und dazu reicht ein klarer Blick in die Augen des anderen gepaart mit einem Schuß Respekt.
Ich wünsche uns allen eine wertschätzende Woche!