Muss man heute anders führen als früher?

Bei einem Beratungsunternehmen in Deutschland ist nach knapp 9 Monaten Amtszeit der Geschäftsführer schon wieder gefeuert worden. Ursache: u.a. ein falscher Führungsstil.  Der Mann kann sich selbst wenig vorwerfen, denn er hat wirklich aus vollster Überzeugung gehandelt. Er ist mit den Praktiken des Industriezeitalters groß geworden, hat die Mitarbeiter angetrieben und ihnen zeigen wollen, was mit Druck und Disziplin so alles möglich sei. Er behandelte die Menschen eher nach Gutsherrenart, hörte wenig zu, wusste alles besser und schob die schlechten Verkaufs- und Finanzergebnisse den Mitarbeitern in die Schuhe. Das konnte nicht lange gut gehen und der Aufsichtsrat zog die Reißleine.

Ich möchte zunächst das Gedankenmodell von Peter Drucker zusammenfassen, der für mich einmal ganz einleuchtend beschrieben hat, dass wir Menschen derzeit in einer 4. Wirtschaftsgeneration leben.  Zunächst gab es die Jäger und Sammler, dann wurden sie von der Landwirtschaft abgelöst und die Produktivität stieg enorm. Plötzlich konnte man mit einer Arbeitskraft nicht nur sich, sondern auch andere ernähren. Dann kam die Industrialisierung und die Produktivität ist um das zig-fache gegenüber der klassischen Landwirtschaft gestiegen. Die Industrialisierung prägt ihre Gesellschaften und zwingt ihnen auch gewisse Werte auf. Wir alle die vor dem Jahrtausendwechsel geboren sind, sind im Zeitalter der Industrialisierung groß geworden und haben ihre Regeln gelernt auf die ich gleich eingehen werde. Aber seit ein paar wenigen Jahren spricht man von der vierten Wirtschaftsgeneration, dem Wissenszeitalter.  In diesem Zeitalter arbeitet die Mehrheit der Menschen längst nicht mehr mit der körperlichen Kraft, sondern vorwiegend über den Kopf. Die Arbeit verrichten mittlerweile die Maschinen. Wir Menschen konzentrieren uns immer mehr auf unsere Fähigkeiten der Problemlösung und Weiterentwicklung.  Die Grundfrage die wir uns hier also stellen müssen:  erfordern diese Wirtschaftsgenerationen andere Führungsfähigkeiten? Und wenn ja, welche sind das?

Die Antwort ist wie immer relativ einfach:
JA, wir müssen das Thema Führung aus einer neuen Brille betrachten und die Grundfähigkeit die wir als Führungskräfte dabei brauchen ist es, unsere Mitarbeiter als einen ganzheitlichen Menschen und nicht als Werkzeug zu betrachten.

Das Problem dabei ist, dass es wesentlich einfacher ist, den Mitarbeiter als Werkzeug zu betrachten, das entweder funktioniert oder nicht. Und wenn es nicht funktioniert wird es nach Möglichkeit ausgetauscht. Das geht so bis in die höchsten Vorstandsetagen. Selbst ein CEO eines DAX-Konzerns wird heute aus Sicht eines Aufsichtsrates nicht als ganzer Mensch wahrgenommen, sondern wird ausschließlich auf seine Fähigkeit, Ergebnisse zu liefern, reduziert. Funktioniert er oder sie, ist es gut, wenn nicht, austauschen und Abfindung bezahlen. Das gleiche Spiel sehen wir bei Fussballtrainern, Intendanten und und und.

Auch wenn viele von uns den genannten Personen wenig Mitleid entgegen bringen aufgrund ihres enormen „Schmerzensgeldes“ in Form von Gehältern und Boni, so empfinden doch die meisten von Ihnen das Umfeld und die Anforderungen die an sie gestellt werden als „unmenschlich“ und dauerhaft für kaum erträglich.

Es ist für mich schwer nachvollziehbar, warum man Mitarbeiter nicht menschlich behandeln kann, wo es doch so simpel und effektiv ist.

Aber der Grund liegt natürlich auf der Hand: Wenn das Überleben einer Führungskraft an nackten Finanzzahlen hängt – und das tut es in aller Regel – dann wird der Faktor Mensch rasch zu einem Kostenfaktor, welcher nur „gemanaged“ werden muss. Sich um seine Befindlichkeiten zu kümmern, ist in dieser Gedankenwelt nicht effizient genug.

Die Industrialisierung kennt gewisse Produktionsfaktoren und sie war noch nie „menschlich“. Genauso wenig wie das Zeitalter der Landwirtschaft davor. Aber wird das heutige aufziehende Wissenszeitalter menschlicher oder erfordert es mehr Menschlichkeit um sich überhaupt entfalten zu können?

Es wäre schön, wenn es so einfach menschlicher werden würde, aber das tut es natürlich nicht. Die Zahlenvorgaben und die Zahlenorientierung bleiben natürlich die Gleichen, nur muss man sich als Führungskraft in der heutigen Zeit damit abfinden, dass man eine neue Idee oder eine Problemlösung nicht so einfach einfordern kann. Jeder gute CEO spürt das Potential welches möglich ist, wenn die Organisation als Team agieren würde und wenn die Ideen welche zweifelsfrei vorhanden sind, auch effektiv umgesetzt würden. Jeder gute CEO spürt, welche Möglichkeiten in der Globalisierung stecken aber mit welch angezogener Handbremse die eigene Organisation durch die Gegend fährt. Man kann dieses Dilemma förmlich mit Händen greifen. Auf der einen Seite die Potentiale dieses Wissenszeitalters zu spüren und auf der anderen Seite bei der Behandlung von Mitarbeitern in alten Mustern der Industrialisierung hängen zu bleiben. Das muss frustrierend sein!  Und sie sind alle selbst an ihrem Frust schuld!

Warum haben über 80% der Angestellten in den westeuropäischen Staaten laut Gallup-Umfragen „innerlich gekündigt“ – will heißen, sie machen nicht mehr mehr als notwendig? Ihr Job und ihre Arbeitsbedingungen frustrieren sie. Sie haben ein anderes Bild von dem wie sie gerne arbeiten würden. Dabei spielt das Gehalt nicht mehr als eine hygienische Rolle.

Mich hat dieser Satz von Peter Drucker sehr geprägt:  „Wenn die Geschichte unserer Zeit geschrieben wird, ist das wichtigste Ereignis, an das sich die Historiker erinnern werden nicht Technologie, nicht Internet, nicht eCommerce, sondern die beispiellose Veränderung der Stellung des Menschen. Zum ersten Mal hat eine beträchtliche und schnell wachsende Anzahl von Menschen die Wahl. Zum ersten Mal müssen sich die Menschen selbst managen und wir sind darauf völlig unvorbereitet.“

Ich glaube, dass viele Manager von heute diesen Satz noch nicht verinnerlicht haben. Oder sie haben Spaß daran, einen Großteil ihrer Zeit mit der permanenten Neu-Suche von fähigen Mitarbeitern zu verbringen.

Unter dem Strich würde ich es folgendermaßen zusammenfassen:  Eine Führungskraft hat die Wahl, weiterhin Menschen wie einen Produktionsfaktor zu behandeln – oder einen Mitarbeiter in all seinen Facetten wahrzunehmen und ihn entsprechend zu behandeln. Es fällt nicht schwer zu prognostizieren, dass die zweite Variante in Zukunft die erfolgreichere sein wird.