Die Sache mit Tom

Ich werde wohl nie den Workshop mit einer Führungsmannschaft vergessen, in dem der Vorstandsvorsitzende zwischendurch in die Runde fragte:  „Wieviele Tom’s haben wir eigentlich in unserer Firma?“

Anlass war folgendes Szenario:

„Stellen wir uns vor, wir wären als Produktionschef für die Region Europe/Middle East/Africa (EMEA) zuständig und wir hätten in unserem Team Tom.  Tom hat in der Vergangenheit mehrere Fabriken hervorragend geleitet und war auch in der Lage, schwierige Veränderungsprojekte profitabel und mit hoher Akzeptanz mit Mitarbeitern und Geschäftsführung abzuschließen.  Es ist nun aufgrund gesetzlicher Vorgaben notwendig, in allen Fabriken neue Systeme einzuführen und wir haben das Gefühl, Tom wäre der Richtige für diese umfassende Aufgabe.“

Dies ist eines von vier Szenarien die wir im Rahmen zum Thema „Delegation“ mit den Führungskräften durchspielen. Wie wir wissen, gibt es bei Delegation nicht nur die Optionen Schwarz oder Weiß – sprich – entweder ich mach es gleich selbst, oder ich lasse den Mitarbeitern freie Hand.  Die verschiedenen Delegationsebenen haben wir bereits beim Thema „Delegation Poker“ behandelt.

Es ist klar, dass wir Tom bei dieser Aufgabe sehr viel freie Hand lassen können und wir maximal ab und zu einen Report von ihm benötigen.  Ansonsten können wir uns darauf verlassen, dass er dies ohne große Intervention unsererseits erledigen wird.  Dies gibt uns als EMEA-Chef die Freiheiten, uns um andere wichtige Angelegenheiten zu kümmern.  Welch ein Segen!

So ähnlich muss im Workshop auch der Vorstandsvorsitzende gedacht haben, als er die bereits zitierte Frage in die Runde warf:  „Wie viele Tom’s haben wir eigentlich in unserer Firma?“

Man konnte die Sehnsucht nach „Tom“ in seiner Stimme spüren und in seinem Gesicht ablesen. Diese Sehnsucht nach Mitarbeitern, die die Kompetenz und das Engagement mitbringen, möglichst eigenständig die Resultate erledigt zu bekommen, die das Unternehmen wirklich braucht.

Man sollte noch wissen, dass unser Vorstandsvorsitzender, wie so viele Kollegen in ähnlicher Position, ständig darunter leidet, dass die Zahlen im Unternehmen nicht dem entsprechen, was man sich oben vorgenommen hat.

Leider gibt es in den meisten Unternehmen die unter einer Umsetzungsschwäche leiden ein Phänomen, welches man als Schlagzeile in einer Zeitung folgendermaßen betiteln würde:    „Management blames Team,  Team blames Strategy“.

Wenn wir mal ehrlich sind, so treffen wir dieses Phänomen sehr oft an:  die Zahlen stimmen nicht und wenn dieser Umstand langsam chronisch wird (und das wird er mit Sicherheit, weil wie bereits an anderer Stelle erwähnt, man niemals genug bekommt), so macht das Management gerne die Mannschaft dafür verantwortlich. Plötzlich werden die Kompetenzen vieler Stellen in Frage gestellt und in den Köpfen der Manager spielt sich leider viel zu häufig der Reflexgedanke ab:  „packt der das?“  (oder sie…)

Dieses Misstrauen ist spürbar und führt leider zu einer Atmosphäre, die das Vertrauen im Unternehmen untergräbt und eine Abwärtsspirale in Gang setzt.  Plötzlich spielt das Team nicht mehr um zu gewinnen, sondern jeder passt auf, dass er nicht verliert.  Die Gegenreaktion der Mannschaft lässt nicht lange auf sich warten und sie denkt im Chor:  „wir sind eigentlich gut genug, aber die Strategie und die Strukturen stimmen nicht.  Das Problem sitzt oben“.

Das Stoppen dieser Abwärtsspirale ist nicht mit einem Quick-Win zu erreichen.  Hierfür benötigt es einer Reihe von Aktionen, welche sich gut in den verschiedenen Leadership-Modellen von Malik und Covey wiederfinden lassen.

Heute beschäftigt mich nur die Sache mit Tom.

Tom verfügt über zwei wesentliche Attribute, die uns als Manager oder Führungskraft die Arbeit extrem erleichtern und die ich dankenswerter Weise im Programm von „Leading Simple“ gefunden habe:  er hat auf der einen Seite die Kompetenz: er verfügt also sowohl über Fähigkeiten, als auch den notwendigen „Track- Record“.  Des weiteren verfügt er über das notwendige Engagement. Dies wiederum speist sich aus klaren überzeugenden Zielen, welche er entweder für sich von oben übernimmt, oder sogar sich selbst gibt,  und einem hohen Selbstvertrauen und einer hohen Zuversicht, dass er schwierige Herausforderungen auch erledigt bekommt.

Würde man es mathematisch ausdrücken, so würde es sich mit Tom folgendermaßen darstellen:

Kompetenz =  Fähigkeiten *  Resultate

Engagement = Ziele * Selbstvertrauen

Trägt man beide Faktoren (x-Achse =Kompetenz und y-Achse =Engagement) in einem Koordinaten-System mit einer Skala von 0-100 auf, so würden wir unseren Tom in diesem System ganz weit rechts oben wiederfinden:

Beispiel:
Seine Fähigkeiten bewerten wir mit 9,  seine bisherigen Resultate bewerten wir mit 10.  Damit ergibt sich ein Kompetenzwert von 9 * 10 = 90.

Die Klarheit und Sinnhaftigkeit seiner Ziele bewerten wir mal mit 9 und sein Selbstvertrauen große Aufgaben zu bewältigen bewerten wir mit 9.  Damit ergibt sich ein Engagement-Wert von 9*9=81.

In der Region mit den Kompetenzwerten >80 und Engagementwerten >80 des Feldes würden wir uns möglichst viele der Mitarbeiter wünschen.

Aber wie sieht es mit der Realität aus?

Diese Frage stellt sich auch unser Vorstandsvorsitzender  „Wieviele Tom’s haben wir eigentlich?“

Und er konnte sich die Antwort in Wahrheit gleich mitliefern:  eigentlich viel zu wenige!

Analysiert man zusammen mit Führungskräften ihre Teams nach diesen beiden Kriterien, so stellen sie sehr plakativ fest, was sie innerlich längst spüren:  in diesem Kompetenz/Engagement-System oder -Feld befinden sich die Mehrheit der Mitarbeiter irgendwo anders, aber nicht in dem angestrebten >80, >80 Segment rechts oben in der Ecke.

Leider ziehen sie den völlig falschen Schluß:  „meine Leute sind nicht so gut, wie ich dachte.  Es wäre schön, ich hätte Bessere!“.

Wer so denkt, hat auf seinem Manager-Sessel nichts zu suchen! Räumen Sie das Feld und überlassen das Thema Führung denen, die es können!

Unser Tom steht schließlich nicht von Anfang an in diesem Wunschgebiet  >80,>80.   Er hat sich dort hin entwickelt und das konnte er nur unter der Obhut guter Führungskräfte.  Wir übersehen so leicht, dass wir 4 starke Hebel in die Hand bekommen, um unsere Mitarbeiter in die Region >80,>80 zu entwickeln:  Hebel 1: Fähigkeiten, Hebel 2: Erfahrungen/Track Record,  Hebel 3: klare überzeugende Ziele und Hebel 4: Selbstvertrauen für große Aufgaben.

An allem können wir mit den Menschen arbeiten und genau das ist eine unserer ureigenen Führungsaufgaben:  Menschen zu entwickeln.

Nur, für diese Aufgabe nehmen wir uns nicht die Zeit!  Wir glauben auch, dass uns niemand die Zeit hierfür gibt. Wir hoffen, dass unsere Leute schon „fertig“ sind, sich immer selbst weiter entwickeln, immer selbst sich motivieren und aufraffen können, das beste zu geben und auch stets das Richtige zu tun.

Es wäre so schön, lauter Mitarbeiter vom Kaliber Tom in seinen Reihen zu haben. Aber es ist meistens nicht so.

Und was das Ganze noch verschärft:  auch ein Tom kann sich in seiner >80,>80-Region nicht ausruhen, bzw. wir müssen darauf achten, dass er dort nicht herausfällt.

Jack Welch hat das Thema ebenfalls einmal gut auf den Punkt gebracht:  „In dem Moment wenn Sie Manager werden, ändert sich ihr Leben und ihre Aufgabe vollständig!  Plötzlich geht es nicht mehr um Sie, sondern plötzlich dreht sich alles nur noch um Ihre Leute und Ihre Organisation.“

Ein Unternehmen mit möglichst vielen Tom’s hat zwar noch nicht die 100%-Sicherheit zum Gewinnen, aber vorausgesetzt man hat eine ausreichende Liquiditäts-Basis im Unternehmen, fällt mir kein wichtigerer Unternehmenswert ein, als dieser.

Über wie viele Tom’s verfügen Sie in Ihren Reihen?

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