Unglaublich aber wahr! Im Grunde wissen wir alles darüber, was gute Führung ausmacht – aber wenn man sich in der betrieblichen Praxis umschaut, dann werden die Personen, die die Prinzipien guter Führung auch auf die Strasse bringen sehr sehr selten.
Eigentlich war mein Blog für heute schon längst geschrieben – doch dann lese ich den Artikel von Christof Kneer für „Die Seite Drei“ in der Süddeutschen Zeitung vom 29./30.3.2014 und ich kann nicht anders, als uns allen einige Auszüge davon liefern. Wunderbar wie Herr Kneer das macht!
Es geht um eine Führungskraft die derzeit sehr im Schweinwerfer steht:
Nein – nicht Hartmut Mehdorn, über den ich heute auch gerne geschrieben hätte, nachdem ich den Bericht über den öffentlichen Beschwerde-Brief eines seiner hochrangigsten Mitarbeiter über ihn in der gleichen Zeitungsausgabe gelesen habe ….(unglaublich….PS: mit der Eröffnung vor 2016 wird’s wohl nix….)
Es geht um Pep Guardiola, den aktuellen Trainer von Bayern München.
Nur so nebenbei: der Kontrast zwischen beiden Männer in Bezug auf guter Führung könnte meines Erachtens NICHT GRÖSSER sein!
Bevor jetzt jemand die Versuchung spürt hier das Lesen zu beenden – a) weil sie/er Beispiele aus dem Sport nicht für relevant hält oder b) eine Abneigung gegen den FC Bayern hegt – so sollten Sie kurz dranbleiben, denn an ihm kann man sich eine Menge abschauen.
Aber jetzt lassen wir Christoph Kneers wunderbaren Artikel in Auszügen sprechen:
„….Pep Guardiola kennt die Macht der Bilder. Bilder sind für Guardiola besonders wichtig, denn er zählt zu jenen Künstlern, die ihr Werk nicht erklären, der Bildhauer lässt sich nicht in die Werkstatt schauen. Guardiola redet nicht gern über Guardiola, in keiner Sprache. Er braucht Bilder, damit sich die Leute ein Bild von ihm machen können.
Wenn man die Szene aus dem Berliner Olympiastadion noch ein bisschen weiterspult, dann findet man irgendwann Guardiola wieder, ohne Meisterkappe, mit einem Handy am Ohr. Er habe noch auf der blauen Tartanbahn mit seiner Frau telefoniert, heißt es später. Das ist ein Bild, das stehen bleiben darf: Pep Guardiola, Meisterbildhauer und Familienmensch.
Guardiola hat aber auch mit Uli Hoeness telefoniert. Noch im Stadion, auf der blauen Laufbahn. Dieses Telefonat erzählt schon eine Teil der Geschichte. Es erzählt viel über Guardiola. Über jenen Coach, der im Moment des Feierns jene nicht vergisst, denen nicht nur nach Feiern zumute ist. Über jenen Coach, dem Respekt und Manieren heilig sind. Über jenen Coach, der am 4. Juni 2013 die Nummer von Hermann Gerland wählte, um ihm zum 59. Geburtstag zu gratulieren – einem Menchen, den er noch nie in seinem Leben gesehen oder gesprochen hatte, von dem er aber wusste, dass er in drei Wochen einer seiner Assitenztrainer sein würde. Ausgesprochen aufmerksam war das, eine Geste, die Herrn und vor allem Frau Gerland umgehauen hat, aber es war auch eine emotionale Anschub-Finanzierung; dieser Gerald würde ihn jetzt mit offenen Armen empfangen, das wusste Pep, vielleicht würde er ihm irgendwann sogar ein paar freundliche Schimpfwörter beibringen.
……Ein Mann, der schon eine ganze Weile im Verein arbeitet, sagt, es gebe eine Gemeinsamkeit und einen Unterschied zwischen Louis von Gaal Jupp Heynckes und Pep Guardiola, jenen drei Männern, die zuletzt den FC Bayern erfolgreich trainierten. Der Mann sagt, alle drei seien große Trainer, und alle drei wüssten das – aber Guardiola sei der Einzige, der das nicht ständig hören müsse. Dem müsse man das nicht sagen, sagt der Mann, der brauche keinen Zuspruch.
Van Gaal hat das Auditorium für sein Ego gebraucht, er hat auf dem Meisterbalkon am Münchner Marienplatz eine Show abgezogen, für die ein Privatsender eine Menge Geld zahlen würde. Heynckes hat auf keinen Fall den großen Saal, aber er hat den kleinen, vertrauten Kreis gebraucht, in dem er sich an brutalstmöglicher Unterstützung wärmen konnte.
Pep Guardiola braucht sein Trainerbüro, er braucht einen Laptop, und er braucht eine Mannschaft, die möglichst viel von dem aufs Feld bringt, was er im Training mit ihr studiert hat. Dann fühlt sich Guardiola betätigt, dann ist er glücklich. Für schätzungsweise fünf Minuten……
….“Bei Pep Guardiola kommen zwei Dinge auf glückliche Weise zusammen“, sagt Uli Hoeneß, „er ist nicht nur ein herausragender Trainer und Fachmann, sondern er ist auch wahnsinnig fleißig.“ Hermann Gerald, der alte Kämpe, ist im Klub berühmt für seine morgendliche Bettflucht, er ist meist schon um acht Uhr in seinem Büro an der Säbener Straße. Aber er ist inzwischen nicht mehr allein. Am Anfang hat er sich erschrocken, als nebenan Licht brannte, aber es gab niemanden, den er hätte herzlich anblaffen können, weil der vergessen hatte, das Licht auszumachen. Guardiola war schon da. Er stört ihn dann nicht. Er lässt ihn brüten, Trainingseinheiten vorbereiten, Videos schauen…..
Pep Guardiola war lange Spieler unter Van Gaal in Barcelona und Herman Gerland fragte van Gaal, was dieser Guardiola denn eigentlich für ein Spieler gewesen sei. Er fragte: Konnte der rennen? Van Gaal sagte: nein. Gerland fragte: Konnte der schießen? Van Gaal sagte: nein. Gerland fragte: Konnte der köpfen? Van Gaal sagte: nein. Gerland fragte: war er zweikampfstark? Van Gaal sagte: nein.
Und dann sagte Van Gaal: „Aber er hat alles auf dem Platz gesehen. Alles. Er war auf dem Platz schon ein Trainer.“
Der Barcelona-Trainer Pep Guardiola ist in München zum richtigen Trainer geworden. Schon jetzt, nach nur neun Monaten Amtszeit, lässt sich feststellen, wie sehr sich Verein und Trainer gegenseitig ihren Horizont erweitert haben.
Die Bayern waren ja nie ein Trainer-, sie waren immer ein Spielerverein. Erst Louis van Gala hat dem Klub ein tieferes Gespür für Taktik vermittelt, für Spielverlagerungen, Dreiecksbildungen. Guardiola hat den alten Meister weiterentwickelt und in die Moderne übersetzt, aber er hat auch sich selbst angepasst. Er lässt jetzt auch mal lange Bälle hauen und nicht nur katalanisches Klein-Klein spielen. Es sei auch faszinierend, so viele Beobachter, dass er sich in vielen Fällen wieder durch Argumente überzeugen lässt.
So hat Guardiola jetzt das Beste aus beiden Fußball-Welten kombiniert.
Es ist eine Fußballgeschichte, die Guardiola den Münchnern erzählt, aber es ist auch eine kleine Kulturgeschichte. Guardiola führt dieses Mannschaft wie ein Katalane, nicht wie ein Bayer. Am Spielfeldrand ist er ein großer Fuchtler, Winker und Tätschler. Aber abseits des Rasens macht er sich rar, und es gibt Momente, da halten die Spieler ihren Trainer für ein Gerücht. Er fährt mit ihnen zum Heimspiel ins Stadion, aber dann zieht er sich in seine Einzelkabine zurück. Die Spielerkabine betritt er erst kurz vorm Rausgehen….
….eines kann Guardiola vielleicht noch besser, als Spieler trainieren und Spiele coachen: Er kann ein Arbeitsklima herstellen, das so viel Nähe wie möglich und so viel Distanz wie nötig garantiert. Er bedient das Bild von der Bayern-Familie, er macht das auch gerne, weil er sich in diesem Klub wirklich geborgen fühlt, aber es ist auch eine Art Potemkin-Familie. Hinter der Kulisse erhält er sich eine Distanz, die er braucht, um seriöse Personalentscheidungen zu treffen. Guardiola ist ein Mensch, wahrscheinlich sogar ein guter, aber er ist kein Freund……„
Soweit Christoph Kneer.
Der allerletzte Halb-Satz „aber er ist kein Freund“ ist das, was Hartmut Mehdorn und Pep Guardiola verbindet – aber das dürfte dann schon die einzige Verbindung zwischen zwei völlig unterschiedlichen Führungsphilosophien sein.
Jeder der sich mit den Prinzipien guter Führung auseinandersetzt, wird viele Attribute davon bei Pep Guardiola entdecken:
- das Wechselspiel zwischen Distanz und Nähe. Das erzeugt Respekt und Vertrauen
- nicht sturköpfig sein und das Beste von Allem zu einem großen Ganzen vereinen – das Prinzip der Synergie
- das konsequente Festhalten an wichtigen Werten wie Respekt, Disziplin, Fleiß und guten Manieren
- das individuelle Einzahlen in wichtige Beziehungskonten (s. Beispiel Gerland Geburtstag), und damit der Aufbau einer Vertrauens- und Gefolgschaftsbasis
und vieles mehr…..
Wirklich gut der Mann!
Nachahmenswert!