CORONA hat die Führung in Unternehmen verändert – stimmt das?

Ich lese viele Artikel die sich damit auseinandersetzen, wie Führung angesichts der raschen Veränderungen auf der Welt sich verändern müsste. Ich beziehe meine nächsten Aussagen aus einem Artikel aus dem CAPITAL August 2020. Ich lese dann folgende Zitate:

„in einer Krise ist man auf dem Schiff zusammen, es ist eine wilde See, da kann man das Schicksal nicht allein dem Steuermann überlassen. Wir müssen gemeinsam das Gefühl haben, wir segeln da durch – allein wäre das nicht durchhaltbar“

„Erst Führung macht die Krise zur Gelegenheit für Veränderungen! Erst Führung schafft in der Ungewissheit Raum für Kreativität. Erst Führung kann Zuversicht herstellen, wo eben nur Katastrophe war.“

„Seit Corona ist Führung nicht mehr, was sie mal war…“

„in stabilen Zeiten genügen Managementtechniken und Fachwissen. Die Kunst von Führung ist demnach, ihnen das zu vermitteln: eine Idee vom Weiterleben.“

„Es geht um politische, geistige, unternehmerische Führung.“

Gestatten Sie mir, wenn ich bei diesen Zitaten etwas schmunzeln muss, denn diese Aussagen sind beileibe nicht neu. Dass Management und Führung zwei unterschiedliche Dinge sind und man den Menschen in seiner Gesamtheit erkennen und würdigen muss, um ihn mit Hochleistungsverhalten für Hochleistungsziele zu gewinnen weiß man, seit man das Phänomen der Wissensgesellschaft erkannt hat.

Interessanter wird es, wenn man sich mit konkreteren Veränderungsvorschlägen des Artikels befasst. Ich möchte hier zwei davon aufgreifen und kommentieren.

These 1: das Ende der Strategie naht! Die Idee geht davon aus, dass der langatmige und langfristige Prozess einer Strategieentwicklung ausgedient hat. Die Gründe hierfür sind offensichtlich. Alles ändert sich viel zu schnell, als dass man den Unternehmenserfolg auf einer klassischen Strategie aufbauen könnte. Agil bleiben! 

Meine Antwort hierauf lautet wie folgt: Die Grundidee stimmt, aber sie muss viel differenzierter betrachtet werden. Wie immer liegt die Wahrheit in der Mitte. Planung hat zunächst einen gewaltigen Vorteil: sie vermittelt Zuversicht und auf der Zuversicht kann man sich agil und schrittweise durch den Nebel tasten. Mir gefällt das Zitat von Ex-US-Präsident Dwight D. Eisenhower „Pläne sind nutzlos, Planung aber unerlässlich“. Dabei geht es weniger darum die Tätigkeiten in zwölf Monaten von heute vorherzusagen, sondern eher überzeugende und plausible Zielvorgaben zu tätigen und sich dann in vielen iterativen Zyklen heranzuarbeiten – gleichwohl auch diese Ziele dabei immer mal wieder auf den Prüfstand zu stellen – aber bitte nicht zu oft – sonst entsteht Frust und definitiv langfristiger Misserfolg.

Der Wechsel der strategischen Ziele ist nur im Ausnahmefall erlaubt – aber der Weg dahin bleibt zwingend flexibel.

Mir gefällt der Leitgedanke, dass man über den Weg zum Ziel wie über eine Wette spricht. „Wir wetten, dass wenn wir uns auf diese 3 Dinge konzentrieren, wir Erfolg haben werden….“ Wie bei jeder Wette wird man den Verlauf sehr genau im Auge behalten und schnell eine Kursänderung vornehmen, wenn man merkt, dass man auf die Verliererstraße gerät. 

Aus dem Blickwinkel heraus, haben langfristige strategische Pläne tatsächlich ausgedient.

These 2: Starke Fassaden haben ausgedient. Hier lautet die Grundidee gemäß eines Zitats von Dov Seidman, einem amerikanischen Autor und Unternehmer über heutige Führungskräfte „Sie wissen, dass sie nicht alles richten können“. Gemeint ist, dass die Sichtbarkeit von Verletzlichkeit und Schwächen von Führungsleuten die Menschen gerade in unsicheren Zeiten zusammenrücken lässt. Man sieht in Videokonferenzen plötzlich das Zuhause der Chefs und man spürt, wie sie plötzlich auch nicht auf alles eine Antwort haben. Viele werten das als eine nachhaltige Veränderung im Führungsverhalten.

Auch wenn ich mir persönlich dieses Aufbrechen der starken Fassaden der Supermänner und Superfrauen wünsche, so bin ich nicht so optimistisch, dass das alte Führungsparadigma „man darf auf der Brücke keine Schwächen zeigen“ so schnell über Bord geht.

Meinen Vorschlag zur Brücke zwischen beiden Polen würde ich folgendermaßen formulieren: Eine Führungskraft kann und sollte auch ehrlich mit seinen Gefühlen der Unsicherheit und vielleicht auch der Besorgnis umgehen und diese auch ruhig transparent machen. Gleichzeitig sollte sie oder er auch hinzufügen, wie sie/er gedenkt, damit umzugehen. Sie oder er kann und muss erläutern, wie sie/er konstruktiv im Rahmen des eigenen Einflusskreises damit umgeht und die Erwartung ausdrückt, dass man als Mitarbeiter ähnlich verfährt. Das erhält die Vertrauenswürdigkeit der Führungskraft. Hierzu ein Beispiel eines (leider fiktiven) CEOs, der die Entlassung einer hohen Führungskraft an seine Führungsriege schriftlich kommuniziert.

Dabei kommen wir zurück zum Kernprinzip guter Führung „Vertrauen schaffen“. Dieses Prinzip ist und bleibt zeitlos und funktioniert nur, indem man die übersichtliche Zahl von Verhaltensweisen die zum Vertrauen führen geschickt und situativ zu einem überzeugenden Ganzen zusammenfügt (siehe Begriffe im Klammern) Einfach nur ehrlich sein und sagen „Leute, ich bin ganz schön verunsichert und ich weiß auch nicht wie es weitergeht“ reicht natürlich nicht.

„Liebe Kolleginnen und Kollegen. Der Weggang von Herrn XY hat mich persönlich sehr betroffen gemacht (ehrlich sein). Sein Einfluss in den letzten Jahren war außerordentlich positiv (Respekt zeigen). Ich habe mindestens zwei Nächte nicht geschlafen und erst einmal nicht gewusst, wie es mit seinem Bereich weitergeht (ehrlich sein) – zumal ich an seinem Schritt sicher nicht ganz schuldlos bin (Verantwortung übernehmen). Meine Gespräche mit seinem Führungsteam und einigen anderen Kollegen haben aber sehr schnell zur Klarheit geführt, wie wir diese Lücke schließen werden (Transparenz erzeugen / sich verbessern). Ich erhoffe mir von allen, dass sie die kommenden Veränderungen konstruktiv mittragen werden…(Erwartungen klären) etc.“

Abschließend bin ich überzeugt, dass auch Corona an den erfolgreichen Prinzipien guter Führung nicht gerüttelt hat.