Der Satz aus meiner Schulzeit den ich nie vergesse, war stets in die Schulbank eingekritzelt und lautete: „Hier kämpfte ich gegen den Schlaf, und verlor!“
Für mich ist dieser Satz ein Sinnbild für die kleinen Kämpfe die wir täglich ausfechten. Diese kleinen Momente, in denen wir Entscheidungen fällen. Entscheidungen die darüber befinden, ob wir nun etwas wirklich Wichtiges machen, oder doch nur wieder einer Dringlichkeit hinterher laufen.
Heute möchte ich allen eine kleine „Wunderwaffe“ im Kampf gegen die ständigen Ablenkungen an die Hand geben, die es uns ermöglicht, wenigstens einigermaßen unsere wichtigsten Prioritäten nicht unter die Räder kommen zu lassen.
Letztes Wochenende saß ich am Schreibtisch und war dabei, meine Monatsabrechnung vorzubereiten. Es gibt nun einmal Dinge, die sind wichtig – machen aber nicht unbedingt Spaß. Da saß ich also und wühlte in meinen Belegen. Da klopfte es an der Tür und mein lieber Nachbar Moritz stand im Spalier. Er fragte mich, ob ich ihm beim Transport einer Couch helfen könne – allein wäre es ihm zu schwer.
Was machte der liebe Andreas? Guter Freund wie er ist, stand er auf und transportierte die Couch an seinen gewünschten Platz. Dabei ergab es sich, dass er sich zum Kaffee einladen ließ und ein schönes Stündchen mit seinen Nachbarn verbrachte. Auf dem Weg zurück in die Wohnung kam er über sein Terrasse und bemerkte das sprießende Unkraut und den Berg Blätter, der sich in der Terrassenecke auftürmte. Schnell mal alles in Ordnung bringen und dann weiter machen. Dass am Ende seiner Arbeiten seine anderen lieben Nachbarn ihn zum Gläschen Wein auf deren Terrasse einlud sei nur am Rande erwähnt. Jedenfalls verstrich die Zeit und als unser Protagonist und Lebenskünstler in seine Wohnung zurückkam, wurde es schon dunkel und die Sportschau schickte sich an, das Bundesligafinale zu übertragen. Das war es dann mit dem produktiven Samstag, schließlich kam zu allem Überfluss danach auch noch der European Song Contest…. (Das Ergebnis können Sie sich ausmalen: Der HSV ist immer noch nicht abgestiegen, Deutschland hat 0 Punkte kassiert und meine Monatsabrechnung liegt heute noch auf dem Tisch…)
Was ich mit dieser kleinen (wahren) Begebenheit nur ausdrücken möchte, ist die situative Unfähigkeit, im richtigen Moment das Richtige zu tun – dabei ist das manchmal so einfach….
Im Moment als der gute Moritz an die Tür klopfte war der Moment der Wahrheit — im Englischen klingt das fast noch besser: „the moment of truth“.
In diesem Moment der Wahrheit hätte ich die Wahl gehabt, die berühmte Pausentaste zu drücken. Aber nein – ich lasse den kleinen Spalt zwischen Stimulus (es klopft) und Reaktion (was ich dann tue) ungenutzt und lasse meiner Hilfsbereitschaft freien Lauf. Dabei hätte ich die Option gehabt, eine kleine Pause zu machen, bevor ich mich entscheide. Ich hätte einfach mal kurz in mich gehen können. Ich hätte darüber hinaus erst einmal eine klärende Frage stellen können. Ich hätte ihn also fragen können, ob das in einer Stunde auch noch möglich wäre. Oder ich hätte ihn fragen können, ob er noch andere Alternativen sähe, denn ich bin gerade mit einer wichtigen Angelegenheit beschäftigt.
Die erste Pause – das Durchschnaufen – und die ein oder zwei klärenden Fragen danach hätten zwei Dinge bewirkt: Moritz bemerkt, dass ich mich mit seinem Ansinnen auseinandersetze und nicht einfach Nein sage – und – ich habe genug eigene Zeit, die für mich RICHTIGE Entscheidung zu treffen. Erst jetzt kann ich nämlich entscheiden: gehe ich gleich mit ihm mit, oder später oder gar nicht. Und selbst, wenn er die Fragen mit „nein“ beantwortet hätte, hätte ich ein besseres Gewissen, selbst „Nein“ zu seinem Ansinnen zu sagen, und mich wieder meiner geplanten Monatsabrechnung zuzuwenden.
Vielleicht werden einige Leser jetzt denken, ich würde die Nachbarschaftsbeziehung durch eine Enttäuschung belasten. Aber es gibt nun mal ein sehr wirksames Gegenargument: Wer verliert eigentlich, wenn man den dringlichen Ablenkungen immer nachgibt und jeder E-Mail, jedem Telefonat, jeder SMS, jedem „Andreas, hast Du mal 5 Minuten?“ hinterherläuft?
Antwort: ALLE verlieren!! Nicht nur ich verliere, weil meine eigene wichtige Angelegenheit auf der Strecke bleibt, sondern auf Dauer auch alle um mich herum, weil ich Souveränität verliere, den wichtigen Dingen früher oder später unter Druck hinterher hetzen muss, ich müde werde und meine „Performance“ in Qualität und Quantität meiner Arbeit zwangsläufig sinkt. Dann verlieren alle.
Und das muss man sich immer vor Augen führen: Wen man sich nicht ausreichend die Zeit für die wirklich wichtigen Dinge selbst nimmt, dann verlieren alle!
Seit ich mir diese simple Formel: Dringliches Anliegen – Pause – Frage – Entscheidung mehr bewusst mache und sie immer öfter anwende, seit dem geht es mir einfach besser. Ich erledige wichtige Dinge häufiger als früher und Moritz wird merken, dass ich nicht immer „Nein“-sage, sondern situativ die RICHTIGE Entscheidung treffe. Komischerweise hat mein Umfeld damit kein Problem.
Der nächste Moment der Wahrheit kommt so sicher wie das Amen in der Kirche!